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Ein ganz normales Leben

Als Peter* drei Jahre alt wurde, brach der Krieg aus. Mitten in seinem Körper. Er war gerade in den Kindergarten gekommen, als die Diagnose „akute lymphatische Leukämie“ sein Leben und das seiner Familie zu zerstören drohte. Peter bekam eine Chemotherapie, weil diese Krebserkrankung rasch tödlich endet, wenn sie nicht behandelt wird.

Die Übelkeit und Müdigkeit als Nebenwirkungen der Therapie lohnten sich, denn Peter war nach diesem Eingriff leukämiefrei. Die Erleichterung und das Glück des reinen Lebens, hielten allerdings nur vier Jahre an. Gerade eingeschult, zwang ihn eine erneute Leukämieerkrankung zur zweiten Chemotherapie, diesmal mit zusätzlicher Bestrahlung. Peters Eltern begleiteten ihren Sohn, sammelten endlos Minusstunden auf ihren Arbeitskonten und versuchten auch den Alltag ihrer kleinen Tochter so normal wie möglich zu gestalten.

Aber normal war nichts. Die Aufenthalte im Krankenhaus, die endlose Zeit, in der draußen das Leben weiter geht und drinnen Körper und Seele ums Überleben kämpfen, machen einsam und nachdenklich. Kurz vor den Herbstferien, Peter ging mit seinen elf hart erkämpften Lebensjahren in die zweite Klasse, kam der Krebs zurück. Eine Chemotherapie allein konnte nicht mehr helfen, weshalb die erste Stammzellentransplantation in die Wege geleitet wurde. Glücklicherweise war Peters Schwester eine geeignete Spenderin. Dieser Glücksfall hat allerdings eine Einschränkung: selbst mit einer passenden Stammzellenspende liegt die Erfolgsrate, die Leukämie dauerhaft zu bekämpfen, bei nur 25%. Eine Woche vor der Stammzellentransplantation bekam Peter für drei Tage kräftezehrende Ganzkörperbestrahlungen mit anschließender übelkeitserregender Chemotherapie.

Die Hoffnung zu behalten ist harte Arbeit, die man nur gemeinsam schafft. Das Team der onkologischen Kinder- und Jugendmedizin der Tübinger Uniklinik kannte und mochte Peter und seine Familie. Es entstehen tiefe Bindungen, wenn man so lange vereint gegen einen gemeinsamen Feind kämpft. Tatsächlich wurde Peter gesund und konnte ein halbes Jahr nach der Transplantation in seine alte Klasse zurückkehren. Obwohl er wahnsinnig gerne las und lernte, sollte er erst mit 15 Jahren in die fünfte Klasse des Gymnasiums wechseln.

Aber der Krebs war schneller.

Diesmal breitete er sich im Knochenmark aus, und statt auf das Gymnasium zu gehen, ging Peter zurück ins Krankenhaus. Es war sein dritter Rückfall und seiner zweite Stammzellentransplantation. Auch diesmal fand sich ein geeigneter Spender: sein Vater. Peter hielt gemeinsam mit seiner Familie, den Pflegekräften und dem ärztlichen Fachpersonal jeden quälenden Eingriff aus, bis hin zu vier Lumbalpunktionen, damit die Leukämie nicht das Hirnwasser erreicht. Und wieder kämpfte sich Peter zurück ins Leben. Neben dem Lesen, Lernen und Basteln, entdeckte er das Joggen und Feiern. Peters größter Wunsch schien sich zu erfüllen: ein ganz normales Leben zu führen. Genau das tat er. Bis er 17 wurde.

Mitten in der Planung seines 18. Geburtstags breitete sich die Leukämie zum fünften Mal in seinem Knochenmark aus. Damit reduzierten sich seine Überlebenschancen auf weniger als 10%. Das Team um Professor Handgretinger und Professor Lang, beide erfahrene pädiatrische Hämatoonkologen, war bereit, ihn ein weiteres Mal zu transplantieren – wohlwissend, dass es, wenn es diesmal nicht klappen würde, keine weitere Therapie für Peter geben würde. Dieses Mal spendete Peters Mutter ihre Stammzellen und die Fachleute empfahlen außerdem eine Zusatztherapie, die noch im Versuchsstadium steckte. Weil sie noch nicht zugelassen war, wurde sie nicht von den Krankenkassen übernommen. Es handelte sich um den Anti- CD 19 Antikörper, der erst vor Kurzem entwickelt worden war und bereits bei einigen Kindern in Tübingen eingesetzt wurde. Da er über zwei Jahre hinweg intravenös verabreicht wird, existierten noch keine abschließenden Ergebnisse. Mit der finanziellen Hilfe der Stiftung des Fördervereins für krebskranke Kinder in Tübingen nahm Peter an der Antikörpertherapie teil.

Während und nach dem Abschluss der Antikörpertherapie konnten keine Krebszellen mehr in Peters Körper nachgewiesen werden. Mit jedem weiteren Tag der Leukämiefreiheit erhöhen sich die Chancen, langfristig gesund zu bleiben. Manchmal geschehen Dinge, die uns an Wunder glauben lassen. Peter fing mit 21 Jahren an zu studieren und arbeitet heute als Wirtschaftsinformatiker mit den Schwerpunkten Öko- und Klimaschutz. Er ist 26 Jahre alt, seit acht Jahren leukämiefrei und macht das, was er sich immer gewünscht hat. Er führt ein ganz normales Leben.

*Name geändert


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